Ein Hauch von Ägypten mitten in Dresden
Dresden am 31. Juli 2014, „An der Herzogin Garten“, unweit vom berühmten Dresdner Zwinger, herrscht rege Bautätigkeit. Nahe der Stelle, wo sich das einstige Logenhaus im Grundstück Ostraallee 15 befand, stoßen Baggerschaufeln in ca. 1,5 m Tiefe auf harten Sandstein – etwas Großformatiges vermutet man. Kurz darauf wird ein ungewöhnlicher Fund zu Tage gefördert:
– Eine überlebensgroße Sphinx-Plastik im ägyptischen Stil.
– Wenige Stunden später das Fragment eines weiteren Sphinx-Kopfes mit königlichem Kopftuch.
Elmar Vogel, Meister vom Stuhl der Freimaurerloge zum Goldenen Apfel und Vorstand der Freimaurerstiftung Dresden erfährt am 1. August durch einen anonymen Anruf von dem ungewöhnlichen Fund: „Bin ich hier richtig bei den Freimaurern? – Ja! – Wissen Sie, dass auf der Baustelle Herzogin-Garten eine Sphinx ausgegraben wurde? – Nein! Gehen sie der Sache doch mal nach…“ Elmar Vogel, gerade terminlich gebunden, informiert Stiftungsvorstand Dr. Frank Nitzsche, der sich bereit erklärt, dem Hinweis noch am gleichen Tag nachzugehen. Als Dr. Nitzsche die Baustelle betritt, ist von dem Fund zunächst nichts zu sehen. Auf die gezielte Frage nach einer Sphinx wird er von der Bauleitung dann zu dem Fund geführt, der, von einer Bauplane bedeckt, vor seinen Augen enthüllt wird. Nach Beratung mit dem dritten Stiftungsvorstand Herrn Thorsten Schmidt und eingehender Sichtung historischer Dokumente wird den drei Vorständen klar, dass es sich bei den beiden Großplastiken um eine Bauzier des alten Logenhauses handelt, das am 13. Februar 1945 dem Bombenhagel zum Opfer fiel. Als dann am 5. August noch der Körper der fehlenden zweiten Sphinx samt einer dazugehörigen Flaschenpost geborgen wird, ist die Sensation perfekt: Zwei originale Sphingen des berühmten Bildhauers Ernst Rietschel, die bis dato als Kriegsverlust galten, wiederentdeckt. Ernst Rietschel (1804 – 1861) geboren in Pulsnitz, gestorben in Dresden. Einer der bedeutendsten Bildhauer des 19.Jahrhunderts. Rietschel schuf unter anderem das Goethe-Schiller in Weimar, das Lessing-Denkmal in Braunschweig, Das Luther-Denkmal in Worms, das König Friedrich August-Denkmal auf dem Schloßplatz in Dresden sowie das Denkmal für Carl-Maria-von-Weber am Dresdener Zwinger. Sein eigenes Denkmal befindet sich in Dresden auf der Brühlschen Terrasse, geschaffen wurde es von seinem Schüler Johannes Schilling (1828-1910).
Ein Kaufvertrag mit weitsichtiger Klausel
Im Juli 2012 hatte die Freimaurerstiftung Dresden das Grundstück des ehemaligen Logenhauses an einen Investor zur Neubebauung verkauft. Ungemein weitsichtig hatte Gründungsmitglied und Vorsitzender des Kuratoriums der Freimaurerstiftung, Christian Barnewitz (+ 2011) den Notarvertrag so vorformulieren lassen, dass Bodenfunde, die dem Logenhaus oder den Freimaurern zuzuordnen sind, auch nach dem Verkauf Eigentum der Freimaurerstiftung bleiben. Dieser Passus im Kaufvertrag stellte sich nun als Glücksfall dar, denn zunächst erhebt das Landesamt für Archäologie Anspruch auf die beiden Sandsteinplastiken und verbringt sie, in ihr Depot. Als jedoch anhand historischer Aufnahmen und Dokumente zweifelsfrei nachgewiesen werden kann, dass die beiden Plastiken Bestandteil der Gebäudearchitektur des zerstörten Logenhauses waren, ist die Eigentumsfrage für alle Seiten geklärt. Am 21. August 2014 ist es dann soweit. Die beiden Plastiken werden der Freimaurerstiftung offiziell übergeben und in das Bildhaueratelier von Elmar Vogel verbracht, wo sie zunächst eingelagert werden. Tatsächlich standen die beiden Plastiken während der Bombardierung Dresdens schon nicht mehr am Eingang des Logenhauses, sondern lagen vergraben im angrenzenden Herzogin Garten. Dies war auch der Grund, weshalb sie bei der archäologischen Grabung des Landesamtes nicht entdeckt worden waren, da die Grabungen sich nur auf ehemals bebaute Flächen beschränkten. Doch wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Art der Lagerung, die letztlich zum Erhalt der beiden Figuren führte? Aufschluss hierüber gab das Dokument, das sich in der Flaschenpost bei einer der Sphingen befand, und das nach diffiziler Öffnung und Rekonstruktion ein Schlaglicht auf die Zeit des 3. Reiches wirft. Nach dem Verbot der Freimaurerei und Auflösung der Logen in der Zeit des Nationalsozialismus, wurde das Dresdner Logenhaus einer neuen, nationalsozialistischen Bestimmung zugeführt, wurde zum Museum für Rassenkunde, Völker- und Tierkunde. Dessen Direktor, Dr. Hesch, selbst Rassenkundler, dem die beiden Plastiken wegen ihres freimaurerischen Bezuges offensichtlich missfielen, verfügte bereits 1937 den Abbau der beiden Figuren, die dann mehrere Jahre im Hof des ehemaligen Logenhauses lagerten. Nachdem sich der endgültige Abtransport zu schwierig gestaltete, wurde beschlossen, die Plastiken im angrenzenden Park zu vergraben. Was am 24. September 1942 dann auch in die Tat umgesetzt wurde, wie das Dokument aus der Flasche verrät.
In welcher Beziehung Stand Ernst Rietschel zu den Freimaurern?
Kurz nach der Entdeckung der Sphingen meldete sich die Ernst Rietschel-Forscherin, Frau Dr. Monika von Wilmowsky und bat darum, die Figuren sehen, fotografisch zu erfassen und vermessen zu dürfen. Für sie ist es ein Glücksfall, dass die Sphingen gerade jetzt auftauchen, arbeitete sie doch seit Jahren an einem Gesamtwerkverzeichnis des Bildhauers, das bereits beim Verlag liegt und kurz vor der Veröffentlichung steht. Nach ihrem bisherigen Wissensstand sind die beiden Großplastiken Kriegsverlust. Ebenso die drei allegorischen Büsten: Lehrling, Geselle und Meister, die einst die Fassade des Logenhauses schmückten, die jedoch tatsächlich im Feuersturm 1945 verloren gingen. In diesem Zusammenhang tauchte dann auch die Frage auf, ob Ernst Rietschel, einer der bedeutendsten Bildhauer des 19. Jahrhunderts, eventuell einer der Dresdner Logen angehörte. Zufällig ist 2014 das 210. Geburtsjubiläum des Künstlers. Zu den Feierlichkeiten in Dresden reist auch ein direkter Nachfahre Ernst Rietschels, der Mediziner Dr. Martin Rietschel aus Remscheid, nach Dresden an. Zu dessen Vortrag erfährt die Dresdner Öffentlichkeit dann auch etwas über die Umstände des Dresdner Freimaurerauftrages: Ernst Rietschel selbst gehörte zwar nicht dem Freimaurerbund an, doch sehr wahrscheinlich, durch die Vermittlung seines langjährigen, engen Freundes Constantin Carl Falkenstein (1801 – 1855), Hofrat und Königl. Sächs. Bibliothekar, Meister vom Stuhl der Loge Zum Goldenen Apfel sowie Ehrenmitglied der Loge Zu den drei Schwertern in Dresden, (Bleistiftzeichnung Falkenstein) wurde Ernst Rietschel mit dem Auftrag betraut, maßgebliche bildhauerische Arbeiten für das neue Dresdner Logenhaus auszuführen:
– drei allegorische Büsten Lehrling, Geselle und Meister für die Fassade s. o.,
– zwei Sphingen als Wächterfiguren für zentrale Eingangstreppe
Umfangreiche Restaurierungsarbeiten waren notwendig.
Abgesehen von mehreren Zementmörtelergänzungen, waren die beiden Plastiken (Einzelgewicht 1,5 t) die immerhin reichlich 70 Jahre im Erdreich lagerten, relativ gut erhalten. Zwar wurden bereits in früherer Zeit abgewitterte Fehlbereiche durch Mörtelantragungen ergänzt, doch die weitaus größeren Schäden waren jetzt zweifellos durch die Baggerschaufeln verursacht worden. Beide Köpfe waren durch die Baumaschinen vollständig abgebrochen worden, jedoch immerhin noch als Fragmente erhalten. Weitere großformatige Abbrüche waren am Königlichen Kopftuch und an den Plinthen zu verzeichnen. Leider war das abgebrochene Material durch die Baggerschaufeln vollständig zerstoßen worden, so dass kaum größere Restfragmente aufgefunden werden konnten, wodurch eine vollständige Rekonstruktion dieser Partien notwendig war.
Für die umfassende Restaurierung und Wiederherstellung der beiden Figuren konnte der akademische Bildhauer, Roland. E. Vogel aus der Freimaurerloge Alexander zu den drei Sternen in Ansbach gewonnen werden. Ein erster Schritt bestand zunächst darin, die beiden Kopffragmente wieder fachgerecht an den Körpern zu befestigen. Für die Wiederherstellung der großformatigen Abbrüche konnte, aus dem noch existierenden Steinbruch, originales Steinmaterial beschafft werden. Aus diesem Gestein erfolgte dann die Herstellung von passgenauen Teilstücken, die zunächst exakt in die Fehlbereiche eingesetzt wurden. Die bildhauerische Formung dieser Teilstücke erfolgte in traditioneller, bildhauerischer Arbeitsweise manuell. Kleinere Lädierungen wurden mit einem Restaurierungsmörtel, einer sog. Steinersatzmasse – in Farbe und Körnung exakt auf das originale Gestein abgestimmt – bildhauerisch nachmodelliert. Nachdem die Steinersatzmasse ausgehärtet war, wurden auch diese Ergänzungen weiter bildhauerisch ausgeformt. Mörtelergänzungen aus früherer Zeit, die nicht mehr intakt waren, wurden behutsam entfernt und ebenfalls in Steinersatzmörtel originalgetreu bildhauerisch rekonstruiert – so geschehen an den Gesichtspartien: Mund, Nase, Wangen, Stirn und Kinn. Als Vorlage dienten zum einen die noch vorhandene Originalsubstanz der jeweils zweiten Sphinx sowie eine ägyptisierende, wohl erst im 18. Jahrhundert geschaffene Sphinx-Statuette, die Rietschel seiner Zeit studieren konnte und die sich noch heute in der Dresdner Skulpturensammlungbefindet. Den Abschluss der Restaurierung bildete dann die farbige Fassung der Figuren. Anhand der teilweise noch erhaltenen Farbkrusten waren mehrere Kalkanstriche in verschiedenen Grautönen nachweisbar. Hier galt es den allerersten originalen Farbton wieder herzustellen. Ein warmes Grau konnte schließlich zweifelsfrei ermittelt werden. Die farbige Fassung der Figuren erfolgte in Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege mit einer diffusionsfähigen Mineralfarbe als Lasurauftrag. Im Moment werden am neuen Dresdner Logenhaus an der Tolkewitzer Straße 49 entsprechende Fundamente und Sockel im Eingangsbereich hergestellt, auf denen die restaurierten Plastiken, in ihrer ursprünglichen Funktion, als Wächterfiguren wieder ihren Platz finden.
Über die Bedeutung der Sphingen in der Freimaurerei
Pyramiden, Obelisken und Statuen in Freimaurergärten oder Sphingen als Eingangsfiguren vor Logenhäusern waren ein beliebtes Requisit des 18. Jahrhunderts. Sphingen finden sich noch heute vor vielen bekannten Logenhäusern wie beispielsweise in Darmstadt, Santa Cruz, Washington D. C., Savannah usw. Im Gegensatz zur Sphinx der griechischen Mythologie, die als menschenfressende Schreckensgestalt auftritt, symbolisieren die ägyptischen Sphingen die Verbindung von Natur und Geheimnis. Die Kombination von Löwe und Jungfrau wurde astronomisch gedeutet als Verkörperung jener beiden Tierkreiszeichen, in denen im alten Ägypten die Nilüberschwemmung stattfand, welche wiederum die Grundlage für Fruchtbarkeit des Landes war. Außerdem galten die Sphingen als ein Symbol des Geheimnisvollen, des Mysteriums und einer verborgenen Weisheit, also esoterischer Lehren, wie sie die Freimaurerei thematisierte. So berichtet der antike griechische Schriftsteller Plutarch in seinem Werk „Von Isis und Osiris“, dass die Ägypter Sphingen vor den Tempeln aufstellten, um anzudeuten, dass ihre Theologie voller rätselhafter Weisheit sei. Diese Verbindung von Natur und Geheimnis bildete das Zentrum des frühromantischen und somit auch des freimaurerischen Ägyptenbildes, das die Sphinx auch als einen Bildtypus der Göttin Isis darstellte. So komponierte im Einfluss freimaurerischer Vorstellung des alten Ägyptens der Dresdner Freimaurer und Hofkapellmeister Johann Gottlieb Naumann, Mitglied der Loge „Aux vrais Amies“ , 1781 seine Oper „Osiride“ bzw. Osiris. Im Einfluss Ignaz von Borns, des berühmten Mineralogen und Meisters vom Stuhl der Wiener Loge „Zur Wahren Eintracht“ sowie des Freimaurers, Philosophen und Altphilologen Anton Kreil, schufen die Logenbrüder Emmanuel Schickaneder und Wolfgang Amadeus Mozart dann 1791 ihre Oper „Die Zauberflöte“, deren ursprünglicher Titel übrigens „Die Egyptischen Geheimisse“ lautete. In einer der Arien des Sarastro wird dort dann auch explizit die Göttin Isis bzw. das ägyptische Götterpaar besungen: „O Isis und Osiris, schenket der Weisheit Geist dem neuen Paar.“